Mein perfektes Grönlandpaddel – Form, Technik und Passform für effizientes Paddeln auf See
Autor: Lars Everding

Einleitung
Wenn das Wetter Seegang sagt, sagt das Meer gleichzeitig Realitätstest. Wind, Wellen, Strömung und Kälte verzeihen wenig. Genau dort fühlt sich das Grönlandpaddel für viele nicht wie ein exotisches Holzstück an, sondern wie ein sehr praktisches Werkzeug: schmal, windneutral, ruhig im Zug und gut kontrollierbar.
In diesem Artikel geht es nicht um Nostalgie, sondern um nachvollziehbare Gründe: Wie die Form arbeitet, wie man damit sauber paddelt und wie man ein Paddel findet, das wirklich passt.
Häufige Missverständnisse
Ein paar Sätze hört man immer wieder:
- „Das ist langsam.“ Auf kurzen Sprints kann ein breites Euroblatt Vorteile haben. Auf Strecke, in Wind und Welle, zählt aber oft ein ruhiger Druckaufbau und weniger Korrekturarbeit.
- „Das ist nur zum Rollen.“ Rollen funktionieren damit sehr gut, ja. Aber das Paddel ist historisch ein Alltagswerkzeug gewesen: Vortrieb, Stütze, Manöver, Sicherung.
- „Damit hat man keine Power.“ Man kann damit sehr kraftvoll paddeln. Die Kraft verteilt sich meist gleichmäßiger über den Schlag, statt als frühe Kraftspitze.
Warum auf See andere Dinge wichtig werden
In geschütztem Wasser fallen technische Ungenauigkeiten kaum auf. Auf See kosten sie Tempo, Energie oder Nerven.
Drei Punkte machen dann den Unterschied:
- Windangriffsfläche und Handling in Böen
- Kontrolle auf der Wellenflanke und beim Abreiten
- Effizienz über Zeit, also weniger Ermüdung für die gleiche Strecke
Woher die Form kommt und was daran so konsequent ist
Die klassische Inuit-Logik war schlicht: knappe Ressourcen, extreme Umwelt, Werkzeug muss funktionieren und reparierbar sein. Daraus ergibt sich ein Paddel, das wenig „Show“ hat, aber viel Funktion.
Typische Merkmale sind lange, schmale, symmetrische Blätter, ein klar fühlbarer Schaftquerschnitt (oft oval oder leicht kantig) und Spitzen, die sich leise ins Wasser setzen lassen.
Was hydrodynamisch passiert
Für den Vortrieb sind zwei Effekte wichtig:
1) Widerstand (Drag): Das Blatt drückt Wasser nach hinten. Das ist robust, kann aber bei breiten Blättern zu einer frühen Kraftspitze führen.
2) Auftrieb (Lift): Mit leichtem Anstellwinkel entsteht eine Druckdifferenz am Blatt. Der Vortrieb ist dann die Vorwärtskomponente dieses Auftriebs.
Beim Grönlandpaddel laufen beide Effekte zusammen. Viele paddeln es so, dass der Druck ruhig ansteigt und das Blatt stabil bleibt.
Dazu kommt der Punkt „Added Mass“: Beim Catch beschleunigst du Wasser mit. Je abrupt- und breitflächiger der Einstieg, desto mehr Kraft braucht es am Anfang. Das schmale Blatt und der eher flache Einstieg des GP reduzieren diese Startspitze spürbar.
Was der Körper daran mag
Nicht nur das Boot wird bewegt, auch Arme, Schultergürtel und das Paddel selbst. Steile, hektische Schläge kosten intern viel Energie. Das Grönlandpaddel lädt meist zu einem flacheren, rhythmischen Schlag ein, bei dem der Rumpf arbeitet und die Arme eher führen.
Das ist kein Automatismus. Aber wer sauber rotiert, locker greift und den Schlag nicht aus den Schultern reißt, merkt oft schnell: Über Zeit bleibt mehr Reserve übrig.
Material heute
Historisch war Holz naheliegend. Heute gibt es gute Holzpaddel, Laminat und Carbon.
Carbon bringt meist zwei Vorteile: sehr geringes Gewicht und hohe Steifigkeit. Das kann das Handling angenehm machen, besonders bei langen Etappen. Holz punktet mit warmem Griffgefühl und gutem Feedback. Entscheidend ist weniger das Material als ein spielfreier Aufbau und ein sauberes Finish an Kanten und Spitzen.
Passform: Die Maße, die wirklich zählen

Beim Grönlandpaddel lohnt es sich, die Passform ernst zu nehmen. Zwei Paddel können optisch ähnlich aussehen und sich trotzdem völlig anders fahren.
Gesamtlänge (Richtwerte):
- Armspannweite plus eine Elle (Ellenbogen bis Fingerspitzen)
- oder: vom Boden bis zu den mittleren Fingergelenken der aufgestreckten Hand
In der Praxis liegen viele zwischen 205 und 225 cm. In windigen Revieren und bei viel Technikarbeit kann etwas kürzer sinnvoll sein.
Loom- oder Schaftlänge (Handabstand):
- Ein guter Start ist der natürliche Griff, wenn du die Unterarme waagrecht vor dich nimmst. Häufig liegt der Bereich bei etwa 46 bis 56 cm.
Blattbreite:
- Typisch 7,7 bis 8,6 cm. Als Faustregel: so breit, dass du das Blatt noch sicher „umfassen“ kannst, ohne zu verkrampfen.
Schaftquerschnitt:
- Viele kommen mit einem ovalen Querschnitt gut zurecht (zum Beispiel ca. 38 mm längs und 30 bis 33 mm quer).
Bauprinzip: Kanten, Querschnitt, Spitzen
Für ein ruhiges Blattverhalten sind ein paar Details wichtig:
- Ein sauberer Übergang vom Loom ins Blatt (nicht zu abrupt, aber spürbar)
- Ein sinnvoller Dickenverlauf: kräftiger am Blattansatz, deutlich dünner zur Spitze
- Kanten und Tips, die nicht blockig sind, sondern sauber auslaufen
Das beeinflusst Catch, Geräusch, Flattern und auch die Kontrolle bei Stütze und Sculling.
Technik: Cant- und Sliding- Stroke ohne Zauberei
Der Canted Stroke heißt im Kern: Das Blatt steht nicht völlig „platt“ im Wasser, sondern minimal schräg. Dadurch wird es stabiler und der Druck baut sich gleichmäßiger auf. Wichtig ist, dass der Griff locker bleibt und der Winkel aus der Handführung entsteht, nicht aus einem verdrehten Handgelenk.
Der Sliding Stroke ist die zweite Besonderheit: Du kannst die Hände je nach Manöver etwas versetzen, um Hebel und Reichweite zu verändern. Das ist praktisch bei Stütze, Bogenschlägen, in Welle und natürlich beim Storm-Paddel-Stil.
Die vier Phasen des Schlages
1) Catch: leise setzen, nicht ins Wasser „schlagen“. Rumpf ist vorgedreht, Blatt wird ruhig eingetaucht.
2) Durchzug: gleichmäßiger Druck. Rumpfrotation liefert den Motor, Arme leiten.
3) Exit: drucklos lösen, kein Wasser heben, kein „Löffeln“ nach hinten.
4) Wechsel: ruhig vorführen, Vorrotation einleiten, Blattwinkel vorbereiten.
Effizienz, Ermüdung und Sicherheitsreserven
Viele erleben das Grönlandpaddel so: weniger harte Kraftspitzen, dafür ein konstanter Zug. Das kann sich auf langen Strecken und bei Gegenwind positiv auswirken.
Dazu kommt die Praxis-Seite: Stützen, Sculling und Rollen profitieren von der langen Kante und der gut dosierbaren Blattführung. Das sind keine Show-Tricks, sondern echte Reserven, wenn es unruhig wird.
Einsatz und Grenzen
Stärken: Strecke, kaltes Wasser, böige Bedingungen, Tour und Expedition, Technikarbeit.
Grenzen: sehr explosive Beschleunigung und kurze, harte Sprints. Das kann ein breites Euroblatt leichter liefern.
Im Alltag ist es oft keine Ideologiefrage, sondern eine Werkzeugwahl: Was passt zu Revier, Boot, Körper und Ziel?
Fazit
Das Grönlandpaddel ist ein stimmiges System aus Form und Technik. Wer es passend wählt und sauber fährt, bekommt ein ruhiges, kontrollierbares Paddelgefühl, gute Stütze und eine Effizienz, die gerade auf See hilft. Nicht, weil es magisch ist, sondern weil es konsequent gebaut ist und eine saubere Bewegung belohnt.

Lars Everding
Bundeslehrteam Deutscher Kanu Verband
Trainer B Deutscher Kanu Verband
Ausbilder Salzwasserunion e. V.
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Team Lettmann
Athlete Gearlab Outdoors
